Der digitale Zwilling, oder Digital Twin, ist ein Begriff, der häufig im Kontext der Digitalisierung verwendet wird. Woher kommt der Begriff und was steckt wirklich dahinter? Was ist die Definition eines digitalen Zwillings und welche Konzepte zur Umsetzung existieren aktuell? Diese Fragen werden im folgenden Beitrag beantwortet, sodass nach der Lektüre dieses Artikels jede:r den Begriff des digitalen Zwillings einordnen kann.
Deutschland und die Digitalisierung - Wo stehen wir?
Die Sicherung der digitalen und technologischen Souveränität Deutschlands sowie die Nutzung der Potenziale der Digitalisierung ist eine von sechs definierten Missionen der "Zukunftsstrategie für Forschung und Innovation“ der aktuellen Bundesregierung [1]. Die Digitalisierung hat großen Einfluss auf verschiedene Branchen und gilt als Querschnittsthema, das die Wirtschaft und das Privatleben betrifft. Die Bundesregierung ergreift verschiedene Maßnahmen, um Fortschritte im Bereich der Digitalisierung zu erzielen. Die aktuelle "Digitalstrategie" der Bundesregierung identifiziert drei Handlungsfelder, die in den kommenden Jahren verstärkt bearbeitet werden sollen. Im Handlungsfeld „Innovative Wirtschaft, Arbeitswelt, Wissenschaft und Forschung“ werden unter anderem die Stärkung der Position der Industrie 4.0, der Einsatz digitaler Zwillinge sowie die Umsetzung der Strategie für Künstliche Intelligenz (KI) als zentrale Aspekte beschrieben [2]. Der Einsatz digitaler Zwillinge wird in verschiedenen Bereichen wie Gebäuden, urbanen Gebieten und der Industrie vorangetrieben.
Die Bundesregierung plant also, digitale Zwillinge einzusetzen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Allerdings gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, was ein digitaler Zwilling genau ist. Daher stellt sich die Frage, was dieser Begriff bedeutet und wofür er benötigt wird.
Der digitale Zwilling - Was steckt hinter dem Begriff
In einer digitalisierten Welt sind verschiedene Geräte und Systeme miteinander vernetzt. Diese Vernetzung ermöglicht neue, innovative Dienstleistungen. Damit dies jedoch realisiert werden kann, müssen die Informationen eines Gerätes für andere verfügbar sein, damit auf sie zugegriffen werden kann. Um sicherzustellen, dass die Informationen der Geräte nicht nur intern und lokal, sondern auch unternehmensweit und global abrufbar sind, müssen sie virtuell zugänglich sein. Dazu benötigen sie einen virtuellen Repräsentanten, der diese Informationen bereitstellt. Die virtuelle Repräsentation eines Gerätes wird derzeit mit verschiedenen Begriffen beschrieben, wie zum Beispiel virtuelle Entität [3], digitaler Schatten [4], digitales Modell [4] oder eben digitaler Zwilling. In den letzten Jahren hat sich der Begriff des digitalen Zwillings etabliert und wird am häufigsten in wissenschaftlichen Veröffentlichungen [5, 6] und internationalen Normungskomitees verwendet. Erstmals wurde der Begriff "digitaler Zwilling" 2003 in einem Kurs an der Universität von Michigan erwähnt [7], während die erste offizielle Definition auf ein Projekt der NASA von 2010 zurückgeht [8]. In verschiedenen Veröffentlichungen, Arbeitskreisen und Normungsprozessen wurde der Begriff des digitalen Zwillings weiter spezifiziert. Im Folgenden wird die Definition gemäß [5] wiedergegeben (aus dem Englischen übersetzt):
Eine Reihe von adaptiven Modellen, die das Verhalten eines physischen Systems in einem virtuellen System nachahmen, das Echtzeitdaten erhält, um sich selbst entlang seines Lebenszyklus zu aktualisieren. Der digitale Zwilling bildet das physische System nach, um Ausfälle vorherzusagen, Echtzeitmaßnahmen zur Optimierung und/oder Abschwächung unerwarteter Ereignisse vorzuschreiben und den Betrieb zu beobachten und zu bewerten.
Diese Definition ist zunächst sehr technisch. Wenn man sie jedoch in ihre einzelnen Teile zerlegt, wird sie verständlicher. Ein digitaler Zwilling bildet das Verhalten des zugehörigen physischen Geräts in der virtuellen Welt ab und ist somit das virtuelle Abbild bzw. der virtuelle Repräsentant des Geräts. Ein digitaler Zwilling muss über den gesamten Lebenszyklus des Assets gepflegt und mit realen Daten versorgt werden. Der zweite Teil der Definition bezieht sich auf die Anwendungsbereiche eines digitalen Zwillings. Zum Beispiel kann er genutzt werden, um Ausfälle vorherzusagen oder den Betrieb zu optimieren. Zu Beginn der Definition wird von mehreren Modellen gesprochen, aus denen sich ein digitaler Zwilling zusammensetzt. Das bedeutet, dass für verschiedene Anwendungsfälle oder Lebenszyklusphasen eines Assets unterschiedliche Modelle verwendet werden. Nun wissen wir also, was ein digitaler Zwilling ist und wofür er eingesetzt werden kann. Um die Geräteinformationen in einem digitalen Zwilling bereitzustellen, bedarf es Informationsmodelle. Diese Modelle strukturieren und standardisieren die Informationen. Glücklicherweise wurden in den letzten Jahren verschiedene Konzepte entwickelt, die als Basis für digitale Zwillinge dienen.
Konzepte zur Realisierung digitaler Zwillinge
Beispiele für Informationsmodelle als Basis digitaler Zwillinge sind die Verwaltungsschale (Asset Administration Shell (AAS)), die Web of Things (WoT) Thing Description, Next Generation Services Interface-Linked Data (NGSI-LD) oder die Digital Twins Definition Language (DTDL). In verschiedenen Veröffentlichungen werden diese Konzepte verglichen [9–11]. Die Autoren aus der Veröffentlichung [11] kommen zu dem Schluss, dass die Konzepte der Verwaltungsschale und der Thing Description am besten geeignet sind, um die spezifizierten Anforderungen zu erfüllen. Der Vergleich in [9] zeigt, dass die AAS, Thing Description und NGSI-LD die umfassendsten Möglichkeiten besitzen, um die beschriebenen Anforderungen zu erfüllen. Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die AAS und die Thing Description für verschiedene Anwendungen von digitalen Zwillingen geeignet sind. Beide Konzepte werden kontinuierlich weiterentwickelt, um gegenwärtige Mängel in Zukunft zu beheben. Teilmodelle der Verwaltungsschale werden beispielsweise unter der Schirmherrschaft des IDTA entwickelt und standardisiert. Was Teilmodelle sind, wird in einem anderen Beitrag erläutert.
ENTENDIX setzt auf das Konzept der AAS. Hierfür haben wir ein Konzept entwickelt, das automatisiert digitale Zwillinge für Bestandsanlagen der technischen Gebäudeausrüstung generiert. Hierbei wird BaSyx 4.0, das Industrie 4.0 Betriebssystem, verwendet. Mithilfe eines entwickelten KI-Algorithmus werden die Betriebsinformationen der Anlagen analysiert und auf das Vokabular von ENTENDIX abgebildet. Wir können digitale Zwillinge in Form von semantisch einheitlich aufbereiteten AAS erstellen und über unsere Monitoring-Anwendung auf diese zugreifen, um Bestandsanlagen zu optimieren und dadurch Kosten und Energie zu sparen. Dies geschieht alles per Plug & Play. Wenn Sie sich dafür interessieren, wie die AAS aufgebaut ist, was BaSyx ist und worauf unser KI-Algorithmus basiert, verfolgen Sie weiterhin unseren Blog!
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